Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende und Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger gab der „Rheinischen Post Online“ und der „Rheinischen Post“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Birgit Marschall:
Frage: Frau Stark-Watzinger, die deutsche Wirtschaft stagniert – und auch die Wachstumsaussichten in den kommenden Jahren sehen mau aus. Wie sehr beunruhigt das die Bundesregierung?
Stark-Watzinger: Die jüngste Prognose des IWF mit einem Minus von 0,3 Prozent in diesem Jahr muss alle in der Ampelkoalition wachrütteln. Sie macht deutlich, dass wir jetzt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft steigern müssen. Es geht um wirksame Schritte zur Wachstumsförderung, wie sie der Bundesfinanzminister mit dem Wachstumschancengesetz auf den Weg bringen will. Wir brauchen mehr Anreize für private Investitionen und nicht mehr Transferleistungen. Unser Land braucht Innovationen, und die kann man nicht einfach herbeisubventionieren.
Frage: …und die jüngste Zehn-Milliarden-Subvention für den US-Chiphersteller Intel in Magdeburg ist trotzdem noch drin für den Fiskus?
Stark-Watzinger: Es kommt darauf an, ob es gelingt, um Intel herum in Magdeburg ein echtes Ökosystem mit weiteren Unternehmen aufzubauen. Aber grundsätzlich gilt: Wir müssen bei knappen Haushaltsmitteln jeden Euro so einsetzen, dass wir den größten Effekt mit Blick auf mehr private Investitionen und Innovationen erzielen. Wir brauchen mehr Wirtschaftswachstum und müssen uns deshalb darauf konzentrieren.
Frage: Sie sagen, bei den staatlichen Transferleistungen dürfe nicht draufgesattelt werden. Wie passt das mit den Plänen für die neue Kindergrundsicherung zusammen?
Stark-Watzinger: Als Koalition haben wir uns vorgenommen, mehr Kinder aus der Armut zu holen. Deswegen haben wir familienpolitische Leistungen wie das Kindergeld und den Kinderzuschlag bereits stark erhöht – um insgesamt sieben Milliarden Euro pro Jahr. Jetzt geht es bei der Kindergrundsicherung darum, die Wirksamkeit der bestehenden Familienleistungen zu verbessern. Die bestehenden Leistungen müssen vereinfacht, entbürokratisiert und digitalisiert werden. So steht es im Koalitionsvertrag. Daneben gilt: der beste Weg aus der Armut ist eine bessere Bildung. Wir können nicht akzeptieren, dass in Deutschland jedes Jahr sechs Prozent der Jugendlichen die Schulen ohne Abschluss verlassen.
Frage: Das heißt: Mit der FDP ist eine Aufstockung der bestehenden Leistungen für Familien im Zuge der Kindergrundsicherung nicht zu machen?
Stark-Watzinger: Wir müssen doch zunächst einmal dafür sorgen, dass Familien, die Anspruch auf Leistungen haben, diese auch wirklich bekommen. Transferleistungen einfach zu erhöhen oder neue zu schaffen, ist nicht automatisch ein Weg aus der Armut. Deshalb sind wir für eine Vereinfachung und bessere Bildung. Außerdem müssen wir das Lohnabstandsgebot wahren. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels muss sich Arbeit immer lohnen.
Frage: Der bisherigen Steigerung der Familienleistungen stehen stark gestiegene Konsumausgaben durch die Inflation gegenüber. Ist das kein Argument für noch höhere Transfers?
Stark-Watzinger: Wir haben auf die Inflation mit den Energiepreisbremsen, dem höheren Kindergeld und dem Inflationsausgleichsgesetz bereits reagiert. Jetzt müssen wir schauen, dass wir die Inflation nicht weiter anheizen. Deswegen ist es richtig, dass der Finanzminister keine expansive Finanzpolitik betreibt, sondern die Schuldenbremse einhalten will. Alle diejenigen, die übrigens Nullwachstum predigen, sehen jetzt, was das für den Haushalt heißt.
Frage: Sie sagen, es dürfe künftig nicht mehr um höhere Transferleistungen gehen. Arbeitsminister Heil bereitet aber gerade das Rentenpaket II vor, das auch künftigen Generationen ein hohes Rentenniveau verspricht. Wie passt das zusammen?
Stark-Watzinger: Uns als FDP ist wichtig, dass wir mit dem Rentenpaket den Einstieg in die Aktienrente schaffen, die bei der künftigen Finanzierung der Renten helfen und für mehr Generationengerechtigkeit sorgen wird. Der Steuerzuschuss zur Rentenversicherung liegt bereits bei über 112 Milliarden Euro im Jahr, das ist fast ein Viertel des gesamten Bundeshaushalts, und der Zuschuss steigt dynamisch. Der wichtigste Schritt ist daher, dass wir die gesetzliche Rente mit der Aktienrente zukunftsfähig aufstellen. Und wir brauchen künftig mehr Anreize für Menschen, die länger als bisher arbeiten wollen. Die Rente mit 63 ist in ihrer jetzigen Form aus der Zeit gefallen, weil uns mittlerweile die Arbeitskräfte ausgehen. Sie setzt die falschen Anreize.
Frage: Über die Bildungspolitik herrscht seit Jahrzehnten große Unzufriedenheit. Dass ein Viertel aller Viertklässler nicht richtig lesen kann, ist erschreckend. Als Bildungsministerin sind Sie diejenige, auf die mit dem Finger gezeigt wird, dabei liegt die Bildungspolitik bei den Ländern. Wie gehen Sie damit um?
Stark-Watzinger: Stimmt, bei uns sind die Länder für die Bildung zuständig. Als Bund unterstützen wir sie dabei gerne, denn die Probleme sind nicht weniger geworden. Wir verhandeln auch sehr konstruktiv mit den Ländern darüber – beispielsweise beim Startchancen-Programm, das etwa 4000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler besonders unterstützen soll. Ein großer Hebel für mehr Chancengerechtigkeit. Das Verhältnis zu den Ländern wird häufig anders dargestellt, deshalb betone ich das hier. Und natürlich ist mein Anspruch, dass wir gemeinsam das Bildungsniveau der Schülerinnen und Schüler insgesamt verbessern und die Zahl der Schulabbrecher endlich reduzieren. Wir dürfen kein Potenzial verschenken. Alles andere wäre schlecht für uns als Wirtschaftsstandort.
Frage: Die Länder fordern mehr Geld vom Bund für die Digitalisierung der Schulen. Die Koalition hat einen zweiten Digitalpakt versprochen. Wann kommt er?
Stark-Watzinger: Natürlich muss man auch über Geld sprechen und sagen, wann es kommen soll. Aber wir müssen im ersten Schritt dafür sorgen, dass der Digitalpakt 2.0 besser wird als der erste. Wir haben gesehen, dass es nicht ausreicht, nur in die Technik, also in neue Tablets und Laptops zu investieren, sondern wir brauchen auch IT-Experten, die sich in den Schulen um die Technik kümmern. Wir müssen also dafür sorgen, dass das auch finanziert werden kann. Zudem müssen wir die Abläufe entbürokratisieren. Und wir müssen das Geld zielgenauer als bisher auf die Schulen verteilen. Entsprechend setze ich mich mit Nachdruck dafür ein, dass der Bund seinen Beitrag zu einem Digitalpakt 2.0 leisten wird.
Frage: Studierende beklagen die Verdoppelung der Zinsen für Studienkredite der KfW. Wie können Sie helfen?
Stark-Watzinger: Wir sind im Austausch mit der KfW, um Wege zu finden, damit der Zinssatz nicht noch mehr steigt. Die KfW hat uns versichert, dass sie mit den Studienkrediten keinen Gewinn erzielt, sondern kostendeckend arbeitet. In dem Zusammenhang möchte ich mit Blick auf die Studierenden klarstellen: Wir kürzen nicht beim Bafög. Jede und jeder, die oder der es beanspruchen kann, wird auch künftig Bafög erhalten. Also bitte beantragen!
Frage: Beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz haben Sie Ärger mit Betroffenen, die Ihre Vorschläge für künftige Zeitverträge ablehnen. Wie kommen Sie da weiter?
Stark-Watzinger: Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der viele Verbesserungen beinhaltet. Wo wir uns in der Koalition noch nicht einig sind, ist die Höchstbefristung in der Postdoc-Phase. Hier wollen wir für Post-Doktoranden höchstens vier Jahre – mit der Möglichkeit weiterer zwei Jahre bei einer Anschlusszusage, also mit der Perspektive einer Dauerbeschäftigung. Das wird breit getragen. Die SPD möchte stattdessen nur eine Befristung von zwei Jahren. Zwei Jahre sind allerdings in vielen Fällen zu kurz, um sich wissenschaftlich beweisen zu können. Das würde junge Wissenschaftler zu sehr unter Druck setzen.
Frage: Würden Sie nochmals in eine Ampelkoalition gehen?
Stark-Watzinger: Die FDP ist angetreten, um zu gestalten. Wir sorgen dafür, dass die Schuldenbremse eingehalten wird, für Technologieoffenheit in den Gesetzen und für Entlastung. Wir machen Tempo bei Aufbruchthemen wie Planungsbeschleunigung, Bürokratieentlastung und Fachkräftezuwanderung. Das ist unser Maßstab.
Frage: Und das Gestalten geht noch einmal mit SPD und Grünen?
Stark-Watzinger: Wir gehen eigenständig in Wahlen. Und danach käme es auf Inhalte für einen nächsten Koalitionsvertrag an.