VOGEL-Gastbeitrag: Zeit, dass sich was bewegt – für eine liberale Mobilitäts-Agenda

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Johannes Vogel schrieb für den Tagesspiegel (Montag-Ausgabe) und „Tagesspiegel Online“ den folgenden Gastbeitrag:

Keine Woche vergeht, ohne dass man nicht bei Twitter einen Rant über die Deutsche Bahn liest. Kein Abendessen mit Freunden kam zuletzt ohne Fragen nach dem 9-Euro-Ticket aus. Zuhause in Berlin-Wilmersdorf rollen Lastenräder bepackt mit Kindern, Schulrucksäcken und Hunden an einem vorbei und fachsimpeln Väter über das beste Modell. Und auf dem Weg zu meinem Wahlkreis im Sauerland kann ich mein E-Auto an keinem Rastplatz laden, ohne dass mich jemand anspricht und fragt, wie weit man damit denn so komme. Die Zukunft der Mobilität - sie bewegt uns. Das ist gut.

Die Art und Weise unserer Fortbewegung beeinflusst unser ganzes Leben. Sie wirft Fragen auf. Fragen zu unserem Alltag. Zur Architektur unserer Städte. Und zur Zukunft unseres Planeten. Unsere liberale Antwort darauf muss sein: Ja zum Fortschritt, ja zur Vielfalt und natürlich ja zur Klimaneutralität. Aber nein zu identitätspolitischen Duellen, etwa zwischen Auto- und Fahrradfahrern. Für die Mobilität der Zukunft darf sich die deutsche Gesellschaft ruhig etwas bewegen und insgesamt alte Denkmuster hinter sich lassen.

Erstens wird der Individualverkehr immer eine wichtige Rolle spielen – und Städte wie Utrecht oder Kopenhagen machen erfolgreich vor, wie dies für viele Menschen auch mit dem Fahrrad gelingt: Der große Hebel ist die bauliche Trennung von Straßen und Radwegen. Viel zu lange wurden Fahrradwege an die Straße gepresst oder gleich über Bürgersteige geführt. Unfälle und ein hektisches Treiben an Kreuzungen sowie ein Kulturkampf von sich anbrüllenden und verfeindeten Verkehrsteilnehmern waren das Ergebnis. Stattdessen brauchen wir echte, eigene Fahrradwege durch die Stadt, damit Menschen sicher fahren können. Auch ausreichende und bessere Abstellmöglichkeiten müssen Standard sein. Utrecht macht mit eigenen Fahrrad-Parkhäusern vor, wie es geht. Selbstverständlich braucht auch der zweirädrige Individualverkehr ausreichend Ladestationen mit klimaneutralem Strom in solchen Parkhäusern. Denn E-Bikes sind eine Chance, dass mehr Menschen für weite oder hügelige Strecken auf das Fahrrad zurückgreifen. Das sollten wir nutzen und nicht den gleichen Anfängerfehler wie bei den Autos begehen: Seien wir mit dem Ladeangebot da, bevor die Nachfrage entsteht.

Zweitens muss genauso klar sein: Es werden keine Menschenmassen aus meinem Wahlkreis im Sauerland mit dem E-Bike nach Köln pendeln. Dafür braucht es auch künftig das Auto – ein klimaneutrales. Ich persönlich glaube: die Zukunft des PKW ist batterieelektrisch. Schon vor drei Jahren bin ich umgestiegen. Der hohe Wirkungsgrad, die niedrigeren Kosten als bei E-Fuels, immer mehr Reichweite und Batterien(recycling), der Fahrspaß durch das Drehmoment – alles spricht meines Erachtens dafür. Die Politik muss die Entscheidung darüber aber den Menschen überlassen. Synthetischen Kraftstoffen politisch den Weg zu verbauen, wäre ein gravierender Fehler. E-Fuels werden wir nicht nur für die Dekarbonisierung des Flugverkehrs brauchen, sondern auch für die globale PKW-Bestandsflotte und vermutlich dauerhaft in manchen Weltregionen, wo ein flächendeckendes E-Ladenetz unrealistisch ist. Daher sind wir ohnehin auf Skaleneffekte und Preisreduktion für E-Fuels angewiesen. Nichts, aber auch gar nichts, spricht dafür, diese Technik dann ausgerechnet im Heimatmarkt der europäischen Automobilhersteller zu verbieten – sollen die beiden Techniken sich doch im Wettbewerb beweisen, so wie früher Diesel- und Benzinmotoren. Die Bedingung dafür ist, dass die Klima-Ordnungspolitik durch Einbezug des Verkehrs in den Emissionshandel endlich scharf gestellt wird. Gerade weil Elektroautos nach meiner Überzeugung längst besser sind, brauchen wir sie nicht mehr mit einer Kaufprämie subventionieren. Stattdessen sollten wir die finanziellen Mittel nutzen und noch mehr Schnelllader an Autobahnen bauen und mehr städtische AC-Lader und sichere Wallboxen in Wohngebieten ermöglichen, samt dem dafür notwendigen, smarteren Stromnetz.

Drittens braucht es in Ballungsräumen einen attraktiven ÖPNV. Die emotionalen Debatten über das 9-Euro-Ticket, übrigens die Erfindung eines liberalen Verkehrsministers, haben gezeigt, wie groß die Sehnsucht nach einem attraktiven ÖPNV ist. Die maximale Preissubvention wie beim 9-Euro-Ticket ist aber der falsche Weg. Denn der Zug- und Bahnverkehr hat so einen schlechten Ruf in Deutschland, weil er unpünktlich, unzuverlässig, verschmutzt und kompliziert ist – nicht, weil alles perfekt wäre und nur die Tickets zu teuer sind. Wir müssen also in die Qualität des ÖPNV investieren, statt in seine Kostenfreiheit. Dabei sollten wir groß denken: Digitale On-Demand-Systeme mit autonom fahrenden Fahrzeugen können den ÖPNV unterstützen und einen bis vor die Haustür bringen. Als Teil einer funktionierenden Shared Economy sieht so die Zukunft aus. Ein leerer Bus hingegen, der jede Stunde einmal alleine übers Land juckelt, hat keine Zukunft. Natürlich müssen wir daneben auch dafür sorgen, dass die ÖPNV-Nutzung einfach und erschwinglich ist. Dies schaffen wir aber auch mit einem digitalem, bundesweit einheitlichen Ticket im Bereich der 50 Euro. Gut, dass das jetzt kommen wird, wenn Bund und Länder wirklich an einem Strang ziehen. 

Es geht aber auch um den Fernverkehr. Was sagt es eigentlich über den Anspruch der Deutschen Bahn aus, wenn man erst ab einstündigen Verspätungen Erstattungen erhält? In Japan misst man Zugverspätungen in Sekunden, wir beginnen bei fünf Minuten. Wann sind wir so anspruchslos geworden, dass wir das schulterzuckend als normalen Betrieb empfinden? Und das dann noch mit ausgefallener Klimaanlage, in umgedrehter Wagenreihung, mit drei gesperrten Wägen, hinfälligen Reservierungen und schlechtem Internet, mit dem man nur schwerlich etwas streamen kann. Unser Anspruch muss doch mehr sein! Wir brauchen deshalb endlich mehr Wettbewerb zur Deutschen Bahn durch Privatisierung. Wir brauchen mehr Anbieter, durch deren Konkurrenzdruck das Angebot der Bahn besser, zuverlässiger und günstiger wird. Das Beste, was der Bahn in den letzten Jahren passiert ist, war der Flixbus. Wir brauchen eine Deutsche Bahn, die bis dahin oder dadurch den Anspruch hat, auch bei 20, 30 oder 40 Minuten Verspätung eine Entschädigung zu gewährleisten. Damit Verspätungen durch mangelhafte Infrastruktur wie Stellwerkschäden in Zukunft deutlich reduziert werden, brauchen wir ein Investitionspaket für die Schieneninfrastruktur. Dabei muss man auch keine Mehr-Generationen- Planungsverfahren durchlaufen, wie wir bei LNG-Terminals für Flüssiggas gesehen haben. Tempo ist möglich, man muss es nur wollen.

Unser Problem in Deutschland ist, wie so oft, der grassierende Kulturpessimismus. Menschen aus urbanen Zentren unseres Landes müssen verstehen, dass Menschen in ländlichen Regionen nicht mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren können – und andersherum muss verstanden werden, dass eine bessere Rad-Infrastruktur und ein ÖPNV-Angebot bis drei Uhr in der Nacht kein Luxus, sondern urbane Lebensrealität sind. Die Welt ist komplex und das gilt auch für individuelle Mobilitätsbedürfnisse. Zu oft bewegt sich nichts, nur der Jammerturbo zündet. Unsere Mobilität wird aber niemals besser, wenn sie nicht fortlaufend erneuert wird! Wir sollten uns keinesfalls nach Zeiten zurücksehnen, in denen sich jeder identisch fortbewegt hat. Im Gegenteil, je mehr neue Angebote desto besser. Nur die Vielfalt an Mobilitätsangeboten wird die individuellen Bedürfnisse befriedigen und es mit der Komplexität der Welt aufnehmen können. Es ist politisch komplett wertlos, wenn urbane und ländliche Milieus darüber im Clinch liegen, ob für die einen ein nächtliches ÖPNV-Angebot notwendig sei oder die anderen einfach mal weniger Auto fahren sollten. Und für weniger Autos in den großen Städten müssen wir die Alternativen attraktiver machen – nicht andersherum. Je besser S- und U-Bahnnetz, die (Car-)Sharing-Angebote oder Fahrradwege sind, desto häufiger wird das Auto stehengelassen oder der Verzicht auf ein eigenes Auto samt Gedanken an Parkplätze, Fixkosten, Wartung und Co. als urbaner Freiheitsgewinn empfunden. Denn die Lösung ist nicht A oder B, sondern divers.

Regionen, die in der Mobilitätspolitik Maßstäbe setzen, denken diese vernetzt und mit städtebaulichem und architektonischem Ehrgeiz. Weder hat Kopenhagen die Autos verbannt, noch sehen dort die Radwege so aus wie im Jahr 1980. Und in Dänemarks Hauptstadt wurden mit der Strøget und in New York zum Beispiel mit der High Line schon vor vielen Jahren neue Fußgänger-Areale geschaffen und das Erleben der Städte verbessert. An alledem mangelt es hierzulande oft, gerade in unserer Hauptstadt. In Berlin gibt es entweder „autofreie Aktionstage“, wirre Phantasien über autofreie Urbanität oder den Hass auf E-Scooter, wahlweise antikapitalistischen oder konservativen Ursprungs. Das ist zu mir schlicht zu ambitionslos. Denken wir größer.